Wenn Wärme zum Luxus wird
In Großenwiehe gibt es Unruhe unter den Kunden der HanseWerk Natur, die bereits eine Initiative gebildet haben. „Zu drei Versammlungen haben wir Vertreter des Versorgers eingeladen, aber sie sind nie gekommen“, beklagt Keno Jaspers, Betroffener und Bürgermeister der Gemeinde. Im Baugebiet um den Kastanienweg sind es noch 83 Anschlussnehmer, die einen stark erhöhten Arbeitspreis zahlen, nämlich 303 Euro pro MHW. Dieser hat sich in den letzten zwei Jahren vervielfacht.
Ove Struck, Leiter der Kommunikation der HanseWerk Natur, hat eine einfache, wenig tröstliche Erklärung: „Da wir im Jahr 2022 das Erdgas für 2023 zu sehr hohen Preisen einkaufen mussten, sind die Wärmepreise für 2023 deutlich gestiegen.“
Betroffene reagieren unterschiedlich. Dörte Carstensen lebt mit ihrem Mann allein im großen Haus und zahlt nun einen Abschlag von 590 Euro im Monat. „Wenn wir bald in Rente gehen, ist das nicht mehr machbar“, sagt sie etwas ratlos. Burkhard Luckow hat einmal überschlagen, ob er sich mit einer Wärmepumpe und Photovoltaik autark machen kann. Er wäre mit knapp 70.000 Euro dabei, für ihn als Rentner nicht machbar. Jochen Franzen hat gegen seinen Bescheid Widerspruch eingelegt und ist nun in anwaltlicher Begleitung in der Verbraucherzentrale Flensburg verabredet.
„Kleine Netze wie Großenwiehe mit gerade einmal 80 Abnahmestellen, langen Netzlängen und geringer Abnahme lassen die Preise höher ausfallen“, erläutert Struck für HanseWerk Natur. Auch wenn hier 30 Prozent Biogas aus der ortsansässigen Anlage als vermeintlich preiswerte Energie zugeführt werden, dämpft dies offensichtlich nicht den Preis. „Da der Biogaspreis in der Regel an die Entwicklung des Erdgaspreises gekoppelt ist, mussten wir hier ebenfalls Preisaufschläge im Einkauf zahlen“, ergänzt er. Weit auseinander liegende kleinere Verbrauchsstellen (Einfamilienhäuser) führten hier zu relativ hohen Netzverlusten mit 29 Prozent, die wiederum zu höheren Preisen.
Die Netzverluste kann Burkhard Luckow bestätigen. „Jeder Hundebesitzer kann es spüren. Die Tiere gehen entlang der Rohre auf wohltemperiertem Untergrund. Im Winter haben wir in der Mitte eine beheizte schnee- und eisfreie Straße.“
Großenwiehe wird versuchen, der Situation mittelfristig nun politisch zu begegnen.
Bis 2028 sind die Gemeinden gehalten, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. „Wir werden dazu ein Quartierskonzept für das Dorf erstellen und dazu alle Kräfte bündeln:
Biogasanlage, Windkraft, ein neues 120 Hektar großes Photovoltaik-Gebiet und die grüne Wasserstofferzeugung der Nord Spedition“, plant Jaspers. Bereits in der kommenden Woche stellt der Investor sein Vorhaben bezüglich Photovoltaik vor. Mit öffentlicher Förderung sei dann vielleicht auch die Herstellung eines neuen Leitungsnetzes im jetzigen Bereich der HanseWerk Natur möglich.
Diese denken allerdings in die gleiche Richtung. „Wir wollen mit unsern Wärmenetzen bis 2030 klimaneutral sein, dazu gehört auch das Wärmenetz in Großenwiehe. Wir prüfen jeweils individuell, welche Maßnahmen sich vor Ort am besten umsetzen lassen. Wir betrachten dabei z. B. Pellets, Wärmepumpen, Solarthermie, Geothermie, Abwärme, Wärmerückgewinnung, Biogas und Bioerdgas.“ Das kann spannend werden.
Jegliche mittel- bis langfristige Planung tröstet die Anschlussnehmer, die derzeit von den hohen Preisen betroffen sind, nicht. Und die Sache mit der Glaskugel ist auch nicht hilfreich. „Für 2024 rechnen wir mit einer Entspannung, da sich die Preise sowohl bei Erd- wie bei Biogas entspannt haben und sich dies preisdämpfend auf die Wärmepreise auswirken wird“, wagt Struck den Ausblick. Wenn zum 1. April dann der staatliche Wärmepreisbremse fällt, die Mehrwertsteuer wieder von sieben auf 19 Prozent steigt, muss diese Entspannung schon enorm sein, um für den Verbraucher bei der HanseWerk Natur dann auch verträglich zu werden.
Im Moment schauen viele Betroffene nach Hamburg. Seit Jahren beinhalten die Verträge mit der HanseWerk Natur eine Preisgleitklausel. „Mit Hilfe dieser Klauseln passen sich auf Basis einer mathematischen Formel die Preise an veränderte Rahmenbedingungen an – nach oben wie nach unten“, heißt es auf der Homepage des Unternehmens. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat dagegen 2015 geklagt, erhielt 2019 Recht. Das Landgericht Hamburg hat dem Fernwärmeanbieter HanseWerk Natur untersagt, eine Preisgleitklausel einseitig abzuändern und dabei den Eindruck zu erwecken, dass die geänderte Klausel auch ohne Zustimmung der angeschriebenen Kundinnen und Kunden wirksam sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht ist auf den 16. November 2023 verschoben.
Autor: Reinhard Friedrichsen